Über Menschen und ihre frühkindlichen Traumata

Juli Zeh Neujahr Über Menschen

Was ein gutes Buch für mich ausmacht? Wenn ich alles stehen und liegen lasse, selbst passive Unterhaltung am Computer in Form von Videos, nur um am Buch weiterzulesen und es abends richtig spät wird, obwohl ich eigentlich schon müde bin. So ging es mir bei beiden Büchern, die ich bisher von Juli Zeh gelesen habe. Das erste hatte nur knapp 200 Seiten, so dass ich es innerhalb von zwei Tagen gelesen hatte. „Über Menschen“ ist hingegen sehr umfangreich und trotzdem hatte ich es in gut einer Woche fertig. Ich kann nicht wirklich in Worten beschreiben, was den Reiz der Bücher ausmacht. Juli Zeh schaffte es jedenfalls, dass ich bei jedem Buch neugierig darauf bin, was weiterhin geschieht.

Buchempfehlung Juli Zeh "Neujahr"

Bei „Neujahr“ ist das auch nicht verwunderlich, denn sie baut einen ziemlichen Spannungbogen auf und die Lösung gibt es erst am Ende des Buches. Zudem hat mich das Thema des Buches, was ich erst während des Lesens mitbekommen habe, sehr interessiert. Es geht nämlich um frühkindliches Trauma. Das Buch beginnt ganz harmlos am Silvestertag während eines Familienurlaubs auf Lanzarote. Fast die komplette Handlung des Buches findet am Neujahrstag auf Lanzarote statt, wobei das, was sich vor Ort abspielt, gar nicht die Hauptgeschichte des Romans ist. Der Protagonist Henning lässt den Leser an einer Rückschau seines bisherigen Lebens und vor allem seiner Kindheit teilhaben. Ich war noch niemals auf Lanzarote und das, was Hennig dort erlebte, habe ich auch sonst noch nirgends erfahren. Dennoch kann ich mich so gut in ihn hineinversetzen und ich glaube, vielen Lesern geht es ähnlich. Das liegt vor allem daran, dass Juli Zeh sehr detailverliebt sowohl die Umgebung als auch die Geschehnisse schildert. Man möchte meinen, sie hätte es selbst erlebt. Vermutlich bekommt sie die Inspiration für ihre Geschichten bei ihrer Tätigkeit als Richterin.

Mein Fazit des Buches ist, dass es sehr kurzweilig und spannend war. Ich war in der Tat traurig, als es nach knapp 200 Seiten und wenigen Tagen Lesezeit zu Ende war. Das Gelesene hat allerdings noch lange nachgewirkt, da es sich nicht um einen seichten Urlaubroman mit Romanze handelt, sondern eben das Thema frühkindliches Trauma behandelt, was mich sehr zum Nachdenken über meine eigene Geschichte angeregt hat.

Ein psychologisch sehr tiefgründiger Unterhaltungsroman!

Buchempfehlung Juli Zeh "Über Menschen"

In dem wesentlich umfangreicheren Roman „Über Menschen“ mit gut 400 Seiten geht es nicht so dramatisch zu, aber durchaus auch traumatisch. Der Erzählrahmen erstreckt sich etwa von Frühjahr bis Herbst 2020, die Zeit des ersten Lockdowns in Deutschland. Der Roman spielt in einem kleinen brandenburgischen Dorf, in dem die Protagonistin Dora ein Haus gekauft hat. Davor lebte sie mit ihrem Freund in Berlin, ihr waren die Klisches und Vorurteile über die brandenburgische Landbevölkerung also bestens vertraut. In diesem Dorf passiert nicht sehr viel schon gar nicht während des Lockdowns, die Handlung beschränkt sich daher eher auf den Kontakt mit dem Nachbarn und vereinzelten Begegnungen mit anderen Dorfbewohnern. Es sind die kleinen Dinge, das Zwischenmenschliche, das Juli Zeh so detailiert und grandios beschreibt, was diesen Roman so lesenswert und durchaus auch spannend macht. Die Identifikation mit der Romanheldin Dora fiel mir leicht, bin ich doch im selben Jahr von der Großstadt in ein kleines Dorf gezogen. Nicht in Brandenburg, sondern in Italien. Gewisse Dinge in einem Dorf sind international, also wohl überall auf der Welt gleich.

Neben der Beschreibung der Dorfbewohner macht sich Dora viel Gedanken über das Verhalten der Menschen aus ihrem früheren Umfeld, ob über ihren Exfreund, ihren Bruder, ihren Vater oder ihre Arbeitskollegen. Auf diese Weise liefert sie eine gesamtgesellschaftliche Studie während dieser Ausnahmezeit des 1. Lockdowns und ich denke, jeder Leser wird sich in der einen oder anderen Person wiederfinden. Es scheint wie ein historischer Roman, der vor gerade einmal zwei Jahren spielt.

Juli Zeh beweist in diesem Roman so ein feines Gespür für Menschen. Für mich ist dieser Roman fast ein Psychologielehrbuch in einem sehr unterhaltsamen Gewand. Die Autorin scheut sich nicht heikle gesellschaftliche Themen anzupacken und klar Stellung zu beziehen, wenn auch nur durch ihre Romanfiguren. Mich selbst hat der Roman durchaus zum Reflektieren und zum Überdenken mancher Überzeugungen angeregt, da ich mich in mancher Figur auch selbst ertappt habe. Wenn dem nicht so gewesen wäre, hätte ich nur ein paar sehr unterhaltsame Stunden verbracht!

Leseempfehlungen Neujahr und Über Menschen von Juli Zeh

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