Das Lied mit dem Titel „Viertel vor sieben“ von Reinhard Mey hat mich sehr berührt. Es geht in dem Lied um das Gefühl von Geborgenheit aus der Kindheit, als man Samstag abends Viertel vor sieben heimkam und der Topfkuchen und der heiße Kakao mit der eigenen Tasse schon auf dem Küchentisch standen. Ich habe mich zurück erinnert und keine einzige vergleichbare Situation gefunden, zu keiner Uhrzeit, an keinem Wochentag. Dabei geht es nicht um Topfkuchen, was ist das eigentlich? Auch nicht um Kakao, ich mochte als Kind sowieso keinen Kakao, heute auch nicht. Sicherlich gab es manchmal Kuchen, oft sogar, mein Vater war Bäcker. Ich glaube, es geht um die Tasse und den gedeckten Tisch, die einem das Gefühl geben, willkommen zu sein und freudig erwartet zu werden. Diese Erfahrung habe ich tatsächlich nie gemacht, trotzdem meine ich zu wissen, wie es sich anfühlt. Ich verband das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit immer mit Fernsehen.
Von meiner Hynoseausbildung und meiner Lektüre weiß ich, dass das Gehirn nicht zwischen tatsächlich erlebten und vorgestellten Situationen unterscheiden kann. Wenn ich mir also oft genug so eine Szene vorstelle verbunden mit dem Gefühl der Geborgenheit, löst irgendwann die „Erinnerung“ an das Bild mit Topfkuchen ein wohliges Gefühl aus, so als ob es tatsächlich stattgefunden hätte. So gesehen ist es in der Tat nie zu spät für eine glückliche Kindheit.
Erinnern war für mich immer mit einer Denkleistung verbunden, also etwas auf der rationalen, auf der Verstandesebene. Dabei gibt das Wort selbst schon einen Hinweis, dass da was in unserem Inneren passiert, nicht nur im Gehirn. In romanischen Sprachen kommt in dem Wort für „erinnern“ das Herz vor. Es wird ein Bild in Verbindung mit einem Gefühl abgespeichert. Beim Erinnern rufen wir das Gefühl wieder ab und spüren es im Herzen. Recordare – zurück ins Herz bringen.
Bei der Hypnosetherapie schafft man anfangs einen sicheren Raum, dadurch dass man sich unter Anleitung einen Raum vorstellt, in dem man sich geborgen und sicher fühlt, egal ob dieser Raum drinnen oder draußen in der Natur ist. Früher konnte ich Geborgenheit nicht mit Natur oder einem „ungeschützten“ Raum im Freien verbinden. Mein Sofa, getrennt von der Außenwelt, war mein sicherer Raum. Wenn im Laufe der Hypnose Situationen hochkommen, die das eigene Fundament erschüttern, wie Reinhard Mey singt, kann man jederzeit gedanklich in seinen sicheren Raum flüchten während der Hypnose.
Auf Anhieb habe ich nicht bemerkt, dass es sich bei dem Lied um Meys Interpretation des Psalms „Der gute Hirte“ handelt. Der eingeschobene Satz in einer Version „Du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich“ machen es unmissverständlich klar. Für mich geht es im Lied sowie im Psalm um Urvertrauen, das einen durch schwere Zeiten trägt und die Sicherheit gibt, dass das Leben immer auf unserer Seite ist. Ein sicheres liebevolles Zuhause hilft uns immer in Verbindung mit unserem inneren Kern zu bleiben, der allwissenden inneren Stimme, die nur das Beste für uns will und uns beschützt, wie ein Hirte seine Schafe, Gott, Universum oder wie auch immer du es bezeichnen möchtest.
Geborgenheit beschreibt das Gefühl, dass mir in diesem Moment in dieser Umgebung nichts Gefährliches passieren kann. In Verbindung mit unserem inneren Kern haben wir das Gefühl, dass uns in diesem Leben, auf dieser Welt zu keiner Zeit Schlimmes passieren kann. Dieses tiefe intuitive Gefühl gründet auf der Überzeugung, dass schmerzhafte Erfahrungen nicht gegen uns sind, sondern uns in unserem Wachstum helfen, in der Rückschau also für uns sind und nicht zwangsläufig Leiden auslösen. Leiden ist eine eigene Entscheidung, wenn wir in den Widerstand gehen.
Inzwischen komme ich draußen in der Natur immer öfter in Kontakt mit meinem inneren Kern und damit mit dem Gefühl von Geborgenheit. Mein sicherer Raum ist nun nicht mehr auf dem Sofa, sondern draußen, bei Mutter Natur, die mich nährt und den Tisch immer für mich deckt.
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